Chronologie:
Die Klägerin stellte sich erstmals am 02.07.2014 im Krankenhaus der
Beklagten vor. Dort wurde eine chronisch-venöse Insuffizienz IV. Grades
mit einem kleinen Ulcus cruris venosum diagnostiziert. Unter
chronisch-venöser Insuffizienz versteht man Beschwerden, die aufgrund
einer pathologischen venösen Hämodynamik entstehen. Dabei sind die
Venenklappen (Ventile) der Beinvenen undicht, sodass das venöse Blut
entgegen der normalen Richtung nicht herzwärts, sondern von oben nach
unten strömt und dort einen chronisch erhöhten venösen Druck verursacht.
Neben der Insuffizienz der großen Rosenvene (großes V. saphena magna)
von der Leiste bis zum Innenknöchel lag bei der Klägerin auch eine
Verhärtung (Induration) der Haut und der darunter liegenden
Bindegewebeschicht vor (Haut- und Gewebssklerose). Diese Haut- und
Gewebsverhärtung entsprechend einer Dermatofasziosklerose wird nach HACH
in verschiedene Stadien eingeteilt. Bei der Klägerin lag ein Stadium II
mit Dermatoliposclerose und einem kleinen Ulcus cruris oder ein Stadium
III mit einer Dermatolipofasziosklerose regionalis vor. Das Ausmaß der
Hautinduration betrug 10 x 6 cm. Der Umfang der rechten Wade war mit
34,5 cm im Vergleich zur Gegenseite mit 33 cm vergrößert. Sonographisch
wurde eine Stammvarikose der V. saphena magna im gesamten Verlauf
diagnostiziert. Des Weiteren zeigten sich querverlaufenden Steinäste in
Verbindung zur kleinen Rosenvene. Ein detaillierter
duplexsonographischer Befund, wie dies üblich ist, mit Beschreibung der
Qualität der tiefen Beinvenen (suffizient oder insuffizient,
kompressibel oder nicht) und etwaiger vorhandener insuffizienter
Perforansvarizen (kurze Verbindungsvenen, welche bei intakten Klappen
venöses Blut von der Oberfläche in die tiefen Venen leiten) liegt nicht
vor. Es wurden Kompressionsverbände am linken Unterschenkel verordnet.
Des Weiteren wird im Arztbrief vom 02.07.2014 nach ambulanter
Untersuchung die zeitnahe Indikation zur Entfernung der V. saphena magna
gestellt.
Am 03.07.2014 gab es ein Gespräch zwischen der Klägerin und den
behandelnden Ärzten über die Crossektomie und Stripping der V. saphena
magna links. Unter Crossektomie versteht man die Durchtrennung und
Ligatur der Seitenäste der V. saphena magna im Bereich der Leiste, kurz
vor der Einmündung in die tiefe Vene (V. femoralis). Über eine alleinige
paratibiale Fasziotomie ohne Veneneingriff ist nicht gesprochen worden.
Einen entsprechenden Aufklärungsbogen gibt es diesbezüglich auch nicht.
Unter Fasziotomie versteht man die Eröffnung der verhärteten Faszie
(Muskelhaut) zur Druckentlastung der Muskelloge. Auf Seite 1 des
Aufklärungsbogens ist die Crossektomie und das Stripping der V. saphena
magna links erwähnt. Die Fasziotomie ist dabei handschriftlich nicht
aufgeführt und auf Seite 2 auch nicht durch Unterstreichen
hervorgehoben.
Im Operationsbericht vom 08.07.2014 wird als Diagnose aufgeführt:
„chronisch-venöse Insuffizienz IV. Grad links (Ulcus cruris)“
Darunter die Therapie: „paratibiale Fasziotomie“
Über Hautinzesionen am Unterschenkel oben und unten wird die
Bindegewebsschicht (Faszie), die im Muskel aufliegt, an der Innenseite
des Unterschenkels neben dem Schienbein mit einem speziellen Gerät
(Fasziotom) durchtrennt. Dabei werden auch verschiedene
Krampfadergebilde entfernt. Die kranke insuffiziente V. saphena magna
wird nicht gestrippt. Es wird keine Crossektomie im Bereich der linken
Leiste durchgeführt.
Die Klägerin wurde vom 08.07.2014 bis 09.07.02014 stationär behandelt.
Im Entlassungsbericht vom 09.07.2014 wird nochmals das Vorgehen der
paratibialen Fasziotomie geschildert. Eine Begründung, warum die
insuffiziente V. saphena magna nicht entfernt wurde, findet sich nicht.
Die Klägerin wurde sodann entlassen. Als Nachbehandlung erfolgte eine
Thromboseprophylaxe mit einer subkutanen Heparintherapie für 10 Tage,
das Wickeln der Extremitäten mit elastischen Binden postoperativ für 7
Tage und anschließend das Fortsetzen der Kompressionstherapie mit einem
Oberschenkelkompressionsstrumpf der Klasse II. 12 Tage nach der
Entlassung, also am 23.07.2014 stellte sich die Klägerin erneut in der
Einrichtung der Beklagten wegen anhaltender Schmerzen nach der
paratibialen Fasziotomie vom 08.07.2014 vor. Die Klägerin nahm Ibuprofen
ein. Es wurde ein Wundheilungsstörung im Bereich der distalen Wunde am
linken Unterschenkel diagnostiziert. Die linke Wade war weich. Es zeigte
sich eine minimale Schwellung, aber keine Druckschmerzhaftigkeit und
keine Überwärmung sowie keine Rötung. Des Weiteren wurde eine
Sensibilitätsstörung im Bereich des Schienbeins diagnostiziert. Eine
duplexsonographische Diagnostik erfolgte nicht. Aufgrund persistierenden
heftiger Schmerzen im Bereich des linken Beines stellte sich die
Klägerin schließlich am 29.07.2014 bei ihrem Hausarzt vor. Dieser
diagnostizierte eine leichte Rötung im Bereich der Schnittführung am
linken Unterschenkel und eine lokale Druckschmerzhaftigkeit im Bereich
der Leiste sowie im Verlauf der großen Rosenvene und im Bereich der
Kniekehle. Der Hausarzt führte eine duplexsonographische Untersuchung
durch und stellte eine tiefe Venenthrombose fest, wobei die vordere
tiefe Schienbeinvene (V. tibialis anterior) vor der Einmündung in die
Kniekehlenvene (V. poplitea) betroffen war. Des Weiteren diagnostizierte
der Hausarzt eine langstreckige Thrombosierung der V. saphena magna von
der Leiste bis unterhalb des Kniegelenks und danach eine segmentale
Thrombosierung dieser Vene. Schließlich fand der Hausarzt persistierende
Perforansvenen cockett II und I sowie Boyd. Der Hausarzt begann die
Thromboseprophylaxe mit Heparin. Einen Tag später, am 30.07.2014, wurde
die Klägerin erneut wegen stärkerer Schmerzen vorstellig im Gefäßzentrum
Barmherzige Brüder (Klinikum St. Elisabeth Straubing). Hier wurde
diagnostiziert: Eine Thrombophlebitis der V. saphena magna nach
paratibialer Fasziotomie links vom 08.07.2014, ein thrombosiertes
Venenkonvolut im Bereich der Wunde am linken Unterschenkel und eine
Muskelvenenthrombose, die in die V. saphena parva hineinreichte.
Am 08.10.2014 stellte sich die Klägerin nochmals in der Einrichtung der
Beklagten mit Beschwerden vor. Offensichtlich kam es zwischenzeitlich
zumindest zu einer Teilrekanalisation (Wiedereröffnung) der ursprünglich
trombophlebitisch verschlossenen V. saphena magna am Oberschenkel. Als
Behandlungsmöglichkeiten wurde eine Erhöhung des Kompressionsdruckes
oder eine Varizenoperation vorgeschlagen. Es wurden
Oberschenkelkompressionsstrümpfe der Klasse II verordnet und eine
Wiedervorstellung in 8 Wochen vereinbart.
Die Klägerin ist in der Einrichtung der Beklagten nicht dem Facharztstandard entsprechend behandelt worden.
Verfahren:
Die vom Landgericht Regensburg in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten haben ergeben, dass:
1.
Die alleinige Fasziotomie vom 08.07.2014 ohne Beseitigung der venösen Insuffizienz war behandlungsfehlerhaft.
2.
Die alleinige paratibale Fasziotomie in Kombination mit der Entfernung
von Varizenkonvoluten stellt einen Verstoß gegen den Facharztstandard
dar, der schlechterdings nicht unterlaufen darf. Der
streitgegenständliche Eingriff vom 08.07.2014 erfolgte grob
behandlungsfehlerhaft.
3.
Bei einer dem Facharztstandard entsprechenden Behandlung (Entfernung der
Vena saphena magna) wären die Ursachen der venösen Hypertonie beseitigt
gewesen und es wäre mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer
Abheilung des kleinen Ulcus gekommen.
4.
Die durchgeführte Fasziotomie hätte lediglich adjuvant oder additiv erfolgen dürfen.
5.
Wäre die Vene am 08.07.2014 durch Crossektomie und Stripping fachgerecht
entfernt worden, hätte sich keine Thrombophlebitis mit allen
Folgeerscheinungen entwickeln können. Die von der Klägerin dargelegten
Folgebeschwerden sind (mit Ausnahme der Gewebeverhärtung) sämtlich auf
die fehlerhafte Behandlung im Hause der Beklagten zurückzuführen.
Das Landgericht hat den Parteien daraufhin einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, den diese akzeptierten. Danach erhält die Klägerin eine Gesamtabfindung in Höhe von 45.000,00 €.
Anmerkungen von Ciper & Coll.:
In vielen Arzthaftungsprozessen reicht es nicht aus, dass das Gericht
lediglich ein fachmedizinisches Gutachten erstellen lässt, sondern
mehrere, diese dann auch fachübergreifend. Dieses liegt in der Natur der
Sache, da die medizinischen Behandlungen sich oftmals auch gerade nicht
nur auf ein einzelnes Fachgebiet beschränken, sondern fachübergreifend
sind. In solchen Fällen ist dann gesonderte Expertise vonnöten, erklären
Rechtsanwältin Irene Rist und Rechtsanwalt Dr. D.C.Ciper LLM, beide
Fachanwälte für Medizinrecht.